Wenn es um den deutschen Arbeitsmarkt geht, fällt in der öffentlichen Diskussion immer wieder das Wort „Fachkräftemangel“. Grundlage dafür sind Auswertungen der Bundesagentur für Arbeit, die in der sogenannten Fachkräfteanalyse zusammengefasst werden. Faktoren, die dabei berücksichtigt werden, sind die Zahl der freien Stellen in einer Region und Berufsgruppe, die Anzahl der geeigneten Bewerber für eine Stelle und die Zeit, die dafür gebraucht wird, um eine Stelle zu besetzen.

Mangelt es an einschlägig qualifizierten Mitarbeitern, sieht es schlecht aus mit dem künftigen Wachstum der Wirtschaft: Obwohl Nachfrage besteht, kann diese nicht befriedigt werden, was den jeweiligen Standort weniger attraktiv macht und eine Gefahr für den Wohlstand darstellt. Auch leidet die Qualität der medizinischen Versorgung darunter, wenn zu wenige Ärzte oder examinierte Fachkräfte zur Verfügung stehen.

Auf dem Land ist das Defizit an geeignetem Personal in manchen Berufen besonders ausgeprägt. Doch welche Bereiche sind betroffen? Und wo liegen die Ursachen für das Problem?

Ursachen des Fachkräftemangels

Die unterschiedlichsten Gründe können dazu führen, dass auf 100 offene Stellen weniger als 200 Arbeitsuchende kommen und dass die Besetzung einer Stelle über 150 Tage dauert – sprich, dass es zu einer Situation kommt, die die Arbeitsagentur als Fachkräftemangel bezeichnet.

  • Demografischer Wandel: In manchen Bereichen wie der Altenpflege oder der Medizin ist der demografische Wandel am stärksten zu spüren. Doch auch in anderen Gebieten macht sich eine Knappheit an Fachkräften bemerkbar, weil die „Babyboomer-Generation“, also Personen, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurden, in Rente geht.
  • Akademisierung: Absolventen akademischer Ausbildungen wird heutzutage meist mehr Wertschätzung entgegengebracht, was dazu beiträgt, dass immer mehr Menschen Abitur machen und studieren. Zudem wird das Nachholen der Hochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg mit einem nicht rückzahlungspflichtigen elternunabhängigem BAföG gefördert – aus dem Ideal heraus, dass gebildete Menschen leichter in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Auch die Anforderungen an Lehrlinge sind gestiegen: In manchen Berufen, für die vor mehreren Jahrzehnten noch ein Hauptschulabschluss reichte, wünschen sich Arbeitgeber heute Abiturienten.
  • Unattraktive Jobs: In manchen Berufen ist eine Knappheit an Fachkräften der geringen Attraktivität der jeweiligen Tätigkeit zu verdanken: Beispielsweise erfreut sich das Berufsbild des Lokführers einer recht geringen Beliebtheit. Häufig können jedoch Stellen in Berufen nicht besetzt werden, die entweder auffallend häufig nur von Frauen oder nur von Männern ausgeübt werden (Quelle), was daran liegen kann, dass in den betroffenen Metiers spezielle Fähigkeiten abgefragt werden, die klassischen Geschlechterklischees entsprechen.
  • Digitalisierung: Durch diesen Trend sind viele neue Arbeitsplätze in den Bereichen IT, Marketing und Sales entstanden, und zahlreiche Berufe sind interessanter geworden, da es weniger monotone Aufgaben zu erledigen gibt. Zum anderen soll Digitalisierung gegen einen Mangel an Arbeitskräften helfen, da viele Aufgaben effizienter zu lösen sind. In Bereichen, in denen es zu wenige Fachkräfte gibt, wird durch diesen Mangel allerdings die Digitalisierung ausgebremst.
  • Einsatz von Robotern: Werden viele Aufgaben automatisiert erledigt, verändert sich das Aufgabenprofil der Mitarbeiter, weshalb Personen mit speziellen Kenntnissen benötigt werden.
  • Abwanderung von Personal: In manchen Berufen und Branchen werden im Ausland sowohl bessere Arbeitsbedingungen als auch attraktive Verdienstchancen geboten.
  • In der Schule nur wenig fürs Leben gelernt: Warum sollte man eine Ursache des Problems nicht gleich im deutschen Schulunterricht suchen? Beispielsweise könnte ab einer bestimmten Jahrgangsstufe ein Fach in den Unterricht integriert werden, in dem einzelne Berufe vorgestellt werden, auf die man im alltäglichen Leben nicht stößt.

Welche Bereiche sind betroffen?

Manche Bereiche geraten immer wieder ins Visier der Medien, da Firmen händeringend aber erfolglos auf der Suche nach qualifiziertem Nachwuchspersonal sind. In den folgenden Gebieten sind Arbeitskräfte Mangelware, und für geeignete Interessenten ergeben sich glänzende Zukunftsperspektiven:

MINT-Bereich

Jede vierte bei der Arbeitsagentur neu gemeldete Stelle bezieht sich auf eine Fachkraft aus dem Bereich MINT. Mit den MINT-Berufen sind Mathematik-, Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie der Bereich Technik gemeint. Unter die Abkürzung fällt also eine Vielzahl von Berufen. Ein Bereich sticht jedoch hervor: Laut Informationen der Arbeitsagentur beziehen sich neun von zehn Stellenangeboten auf Technikfachleute (Quelle).

Pflegeberufe

Vom Fachkräftemangel sind laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums alle Pflegeberufe betroffen. Vor allem in der Altenpflege sind Bewerber rar, jedoch nur in Hinblick auf examinierte Altenpfleger (Quelle). Mitarbeiter aus dem Ausland helfen, freie Stellen zu besetzen. Doch auch in den Bereichen Rettungsdienst und Geburtshilfe fehlt es laut derselben Quelle an Personal.

Handwerk

2004 wurde in vielen Berufen die Meisterpflicht abgeschafft. Betriebe ohne Meisterbrief bilden jedoch seltener aus. Dies hat neben einer verstärkten Neigung der Schulabgänger, zu studieren, zu einer geringeren Anzahl an Auszubildenden in Handwerksberufen geführt (Quelle).

Aktuell herrscht besonders in den Berufen Klempner, Sanitärinstallateur sowie Heizungs- und Klimatechniker ein Missverhältnis zwischen Vakanzen und Bewerbern, da sowohl Azubis als auch Absolventen der Berufsausbildungen fehlen. Doch auch Bodenleger, Dachdecker, Industriemechaniker und Feinwerkmechaniker sind in Deutschland rar.

Medizin

Dass die Gesellschaft immer älter wird, ist darauf zurückzuführen, dass zum einen die Geburtenraten in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen haben und gleichzeitig verbesserte Lebensbedingungen dazu geführt haben, dass die Menschen älter werden. Ein hohes Alter bringt häufig regelmäßigen ärztlichen Behandlungsbedarf mit sich.

Doch sowohl im Krankenhaus als auch in niedergelassenen Praxen fehlen Mediziner. Hervorzuheben sei etwa das Defizit an Hausärzten. Durch das hohe Durchschnittsalter der Ärzte, das bei über 54 Jahren liegt, gestaltet sich insbesondere die Lage auf dem Land besonders prekär (Quelle).

Der Beruf der Krankenschwester bzw. des Krankenpflegers nimmt in Krankenhäusern eine wichtige Rolle ein, doch es gibt nicht genügend Fachkräfte. Immer häufiger ist von Fällen zu lesen, in denen manche Stationen von Krankenhäusern vorübergehend geschlossen werden mussten.

Fachkräftemangel in Sachen Lehrer
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Sozialer Bereich

  • Die rein schulische Erzieherinnen-Ausbildung dauert lange, ist unbezahlt, und es muss sogar Schulgeld entrichtet werden. Auch ein Job als fertig ausgebildeter Erzieher gehört zu den schlechter bezahlten Berufen. Das sind triftige Gründe, die zu einem Mangel an Erzieherinnen führen. Bei einem neuen Ausbildungsmodell, das sich PiA nennt, wird die Ausbildung vom ersten Tag an bezahlt.
  • Höhere Geburtenzahlen und Zuwanderung haben dafür gesorgt, dass bei den Lehrern ein Fachkräftemangel besteht. Das bedeutet für die Universitäten: Sie müssen erst einmal Kapazitäten für eine ausreichende Zahl an Studienplätzen schaffen, damit entsprechend viel Nachwuchs ausgebildet werden kann. Zudem gibt es teilweise Überlegungen zu finanziellen Anreizen für Lehramtsanwärter: Beispielsweise soll der Lehrermangel in Sachsens ländlichen Regionen dadurch behoben werden, dass Referendare mehr Geld erhalten (Quelle). Ein weiterer Ansatz: Lehramtsstudenten unterstützen den Lehrbetrieb, oder Absolventen bestimmter Fächer, die zum Beispiel zuvor als Dolmetscher gearbeitet haben, erhalten vergleichsweise kurze pädagogische Schulungen und werden daraufhin als sogenannte „Ein-Fach-Lehrer“ eingesetzt.

Fahrer öffentlicher Verkehrsmittel

  • Angesichts des wachsenden Umweltbewusstseins wird immer häufiger empfohlen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Doch schnell wird es für die Menschen unbequem, Bus, U-Bahn & Co. zu nutzen, wenn man sich nicht auf sie verlassen kann.
  • Ein Grund dafür, dass öffentliche Verkehrsmittel ausfallen, ist nicht selten ein Mangel an Personal wie Lokführern oder Busfahrern. Erkrankt jemand, kommt es schnell zu Engpässen.
  • Das Defizit an Busfahrern führt das Busfahrermagazin zum einen auf hohe Führerscheinkosten, zum anderen auf unangenehme Arbeitszeiten zurück: Es wird im Schichtdienst gearbeitet, und auch am Wochenende hat ein Busfahrer oft nicht frei.

Viele weitere Berufszweige leiden momentan unter einem Mangel an geeigneten Bewerbern. Beispielsweise fehlt es auch in der Logistik oder im Treuhandwesen an qualifiziertem Personal.

Lösungen

Lösungsansätze gibt es viele, und nicht selten kann eine Kombination mehrerer Methoden erforderlich sein, um den individuellen Fachkräftemangel im Unternehmen zu beheben.

  • Anwerben ausländischer Arbeitskräfte: Duale Berufsausbildungen sind international nicht einheitlich geregelt. Und: Die Ansprüche, die an deutsche Handwerker gestellt werden, sind im Vergleich zu vielen anderen Ländern besonders hoch. Diese beiden Aspekte machen das Einsetzen ausländischer Arbeiter schwer.
  • Ausbildung neuer Fachkräfte: Firmen, die am liebsten nur die jeweilige Elite einstellen würden, klagen häufig über zu wenige Bewerber. Doch wer über das Abitur verfügt, für den stellt eine Berufsausbildung angesichts der Möglichkeit eines Studiums meist nur den Plan B dar. Deshalb gilt es, auch solchen Bewerbern eine Chance zu geben, die nicht dem Bild des Traumkandidaten entsprechen.
  • Neue Berufe: Moderne Technologien tragen zur Entstehung neuartiger Berufe bei. Doch können auch alte Berufe durch eine Akademisierung an Attraktivität gewinnen, wie etwa der der Krankenschwester, die durch ein entsprechendes Studium, das sie für weitere Aufgaben qualifiziert, beispielsweise „Arztassistent“ genannt werden könnte.
  • Migration von Fachkräften: Wie schon angesprochen, haben sich manche Branchen wie der Bereich der Pflege und der Medizin in hohem Maße Hilfe in Form von ausländischen Fachkräften geholt. Diese Tatsache haben auch (ehemalige) Startups wie die Employland GmbH erkannt, die es sich zu ihrer Aufgabe gemacht haben, qualifiziertes Personal aus dem Ausland und Arbeitgeber in Deutschland zusammenzubringen, und die sich auch um Dinge kümmern, an denen eine erfolgreiche Vermittlung häufig scheitert: eine Aufenthalts- und eine Beschäftigungserlaubnis. Auch die Politik reagiert: Für März 2020 ist ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz geplant, anhand dessen die Rekrutierung von Fachpersonal aus dem Nicht-EU-Ausland ermöglicht werden soll (Quelle).
  • Bessere Bezahlung: Laut einer Studie der ManpowerGroup haben die Arbeitsuchenden laut Meinung von 14 % der Befragten zu hohe Gehaltsvorstellungen.
  • Neue Standorte: Warum sollte man Firmenstandorte ausschließlich in den Metropolen ansiedeln? In einer Location mit hoher Arbeitslosigkeit einen neuen Standort zu eröffnen, kann dabei helfen, bestimmte Stellen zu besetzen.
  • Einstellung älterer Arbeitnehmer: Manche Menschen würden auch nach Renteneintritt noch gern für ein Unternehmen tätig sein. Wird ein Rentner in der richtigen Position eingesetzt, kann er mit seiner langjährigen Berufs- und Lebenserfahrung optimal zum Firmenerfolg beitragen.
  • Benefits: Auch diverse Zusatzleistungen (siehe Artikel „Was macht einen guten Arbeitgeber aus„) können dabei helfen, für Arbeitnehmer besonders attraktiv zu sein.

Mythos Fachkräftemangel?

Häufig heißt es in den Medien, es gäbe in manchen Bereichen gar kein echtes Defizit an qualifiziertem Personal. Oder wie es WILA Arbeitsmarkt beschreibt: Vom Fachkräftemangel ist nicht selten die Rede, wenn Arbeitgeber für eine Stellenbesetzung möglichst wenig investieren wollen. Anders gesagt: Warum sollte man nicht dem einen oder anderen Quereinsteiger eine Chance geben und diesen anlernen?

Ein weiterer Aspekt, der manche Firmen zu Unrecht klagen lässt: In der Praxis setzen viele Betriebe etwa ihre Anforderungen an Azubis zu hoch an. Auch wenn ein Bewerber kein Abitur mitbringt, kann er durch die richtige Förderung zu einer Top-Fachkraft werden.

Auch häufige Befristungen in einem Bereich sind ein Grund dafür, warum sich mancher, der die Qual der Wahl hat, für einen anderen Beruf entscheiden mag. Dies ist eine weitere Tatsache, die sich von der Leitung diverser Betriebe, die über einen Mangel an Fachkräften klagen, schnell ändern ließe.

Fazit

Deutschlands Fachkräftemangel ist ein vielschichtiges Problem, zu dessen Lösung es der Initiative vieler Seiten bedarf: Bildungseinrichtungen müssen aufklären, weitsichtig planen und ggf. umdenken. Junge Menschen, die ihre berufliche Zukunft sichern wollen, sollten ihre eigenen Interessen und Talente mit dem abgleichen, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist. Arbeitgeber stehen bei einem Mangel an geeignetem Personal in der Pflicht, möglicherweise auch einmal die eigene Firmenpolitik zu hinterfragen, um mehr (oder andere) Bewerber zu erreichen.




Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form (generisches Maskulinum), z. B. „der Mitarbeiter“. Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und ist wertfrei.