Pflegebranche: Die Krise als Chance?
Menschen, die in der Pflege beschäftigt sind, müssen hart im Nehmen sein. Schlechte Bezahlung, äußerst belastende Arbeitsbedingungen, Zeitdruck und ein geringes gesellschaftliches Ansehen ihres Jobs sind viele von ihnen in Deutschland leider gewöhnt. Arbeiten Alten- und Krankenpfleger doch in einem Bereich, den gesunde Menschen gerne aus ihrem Blickfeld schieben: Denn sich mit Krankheit, Leid und Tod auseinanderzusetzen, passt nicht so ganz in unsere Wellness- und Turbogesellschaft – zu belastend, zu negativ, das zieht nur runter.
Inhaltsverzeichnis
Traurige Wahrheit: Erst die Corona-Krise schafft es, die Pflegekräfte und ihre Leistung für die Allgemeinheit in den öffentlichen Fokus zu stellen. Plötzlich stehen da hunderte Menschen abends am Fenster und applaudieren in den Nachthimmel, für die Leistung von Ärzten und Pflegern. Doch ist es das, was Pflegekräfte wirklich brauchen? Wie sieht es aktuell aus um Arbeitsbedingungen, Gehalt und Ansehen im Pflegebereich in Deutschland? Und was wird oder muss sich ändern?
Der Pflegebereich: Ein Wachstumssektor
Aktuell sind in Deutschland nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums ca. 3,3 Millionen Menschen pflegebedürftig. Und die Tendenz ist steigend: Denn es ist kein Geheimnis, dass die Lebenserwartung der Deutschen in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist. Genau genommen haben die Menschen hierzulande in den letzten 30 Jahren im Schnitt sieben Jahre Lebenszeit hinzugewonnen.
Allerdings geht mit einer höheren Anzahl an Lebensjahren nicht zwangsläufig ein guter Gesundheitszustand einher. Werden immer mehr Menschen über achtzig oder neunzig Jahre alt, steigt auch die Zahl derer, die an Demenz oder anderen schwerwiegenden Krankheiten leiden. Denn mit zunehmendem Alter erhöht sich das Risiko, schwere Erkrankungen zu bekommen oder pflegebedürftig zu werden. Was unterm Strich bedeutet: Je älter die Menschen in einer Gesellschaft werden, desto größer ist auch der Anteil derer, die im Alter auf Hilfe und Pflege angewiesen sind. Und dafür braucht es Personal.
Die Beschäftigungssituation in der Pflegebranche
Doch gerade am Personal mangelt es leider. Genau genommen fehlt Fachpersonal. Laut einem Bericht zur Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, den die Agentur für Arbeit im Mai 2019 veröffentlicht hat, sind vor allem Fachkräfte in der professionellen Pflege gesucht. Im Jahr 2018 waren in Deutschland rund 1,6 Millionen Pflegekräfte in der Kranken- und Altenpflege sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wie zu vermuten ist die Pflege eine Frauendomäne: Die Mehrzahl der Beschäftigten ist weiblich. Viele sind außerdem in Teilzeit tätig. Die Arbeitslosigkeit in der Kranken- und Altenpflege ist weiterhin rückläufig.
Fachkräfte und Helfer
Spannend wird es beim Thema der Qualifikation. Denn während es bei den ungelernten Kräften mehr Arbeitslose als gemeldete Stellen gibt, ist es bei Pflegefachkräften genau anders herum. Sowohl bei Alten- als auch bei Krankenpflegefachkräften besteht im Prinzip bundesweit ein großer Mangel. Viele Einrichtungen suchen permanent und händeringend nach entsprechendem Personal.
In den letzten Jahren hat die Agentur für Arbeit mit Weiterbildungslehrgängen darauf reagiert. Und zwar durchaus erfolgreich: Laut eigenen Angaben wurde 2017/2018 bundesweit gut jede vierte Ausbildung zur Altenpflegefachkraft in Form einer geförderten Weiterbildung begonnen.
Ausbildungsberufe in der Pflege
Seit Januar 2020 ist in Deutschland das neue Pflegeberufegesetz in Kraft. Darin wurde unter anderem die Ausbildung im Pflegebereich neu geregelt. Nun gibt es folgende Ausbildungsberufe:
- Pflegefachkraft (Ausbildungsdauer: 3 Jahre)
- Heilerziehungspfleger (Ausbildungsdauer: 2-3 Jahre)
- Sozialassistent (Ausbildungsdauer: 2 Jahre)
- Pflegehelfer (Ausbildungsdauer: 1-2 Jahre), nur für assistierende Tätigkeiten
Näheres zu den Ausbildungsvoraussetzungen und -wegen findest du in diesem Artikel zum Thema Pflegeberufe.
Wie viel verdiene ich in der Pflege?
Eine goldene Nase verdient man sich wahrlich nicht im Pflegesektor. Doch darum dürfte es den meisten Beschäftigten auch nicht gehen, sonst hätten sie wohl von vorneherein eine andere Karriere eingeschlagen. Viele große Einrichtungen bezahlen nach TVÖD, wonach qualifizierte Pflegekräfte mit Bruttomonatsgehältern zwischen 2.150 und 3.100 Euro rechnen können. Pflegehelfer verdienen weniger; hier liegt das monatliche Durchschnittsgehalt bei ca. 1.500 bis 2.500 Euro. Wie aber beispielsweise das Gehalt einer Pflegerin exakt ausfällt, hängt von vielen Faktoren ab. Es spielt natürlich auch eine Rolle, ob sie bei einem privaten mobilen Pflegedienst angestellt ist oder in einem städtischen Klinikum arbeitet.
Der viel diskutierten Gehaltsproblematik liegen vor allem zwei Faktoren zugrunde: die hohen Lebenshaltungskosten und die schwierigen Arbeitsbedingungen, die große Arbeitsunzufriedenheit zur Folge haben können. Eine schlechte Kombination.
Zu wenig Gehalt?
Zum einen fällt es Pflegefachkräften mit ihrem Gehalt immer schwerer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das liegt an den hohen Lebenshaltungskosten in vielen Großstädten, wo solch ein Gehalt durch die Mietausgaben oftmals bereits so radikal schrumpft, dass für die Lebenshaltung nicht mehr viel Geld übrig bleibt. Da geht es den Pflegern und Pflegerinnen leider genauso wie auch Erziehern, Friseuren, Handwerkern oder anderen Menschen, die in klassischen Ausbildungsberufen tätig sind. Das ist also im Grunde kein pflegespezifisches Problem.
Arbeitsbedingungen
Zum anderen jedoch sind es wohl die Arbeitsumstände, die viele Pflegende als unangemessen empfinden – zumindest in Kombination mit der Bezahlung. Unbestritten leisten sie zum Teil schwere körperliche Arbeit, beim Heben, Drehen und Aufrichten von Patienten, und das täglich in großem Umfang. Hinzu kommt der permanente Zeitdruck, unter dem Pflegekräfte stehen.
Man kennt die Berichte aus der ambulanten Pflege: Für jede Tätigkeit am Menschen steht den Pflegenden von Seiten der Krankenkassen ein enges Zeitfenster zur Verfügung. Nur wenn das Waschen, Anziehen oder Füttern in diesem zeitlichen Rahmen erledigt wird, arbeitet man sozusagen „rentabel“.
Doch so möchte wohl niemand in diesem Bereich arbeiten: wie am Fließband, mit der Stoppuhr, ohne Zeit für zwischenmenschlichen Austausch. Diese fast schon industrielle Einteilung in Arbeitsschritte wird einem sozialen Beruf einfach nicht gerecht. Und sie hat eine weitere Konsequenz: Oftmals werden dadurch „softe“ pflegerische Tätigkeiten wie Zuhören, Beistand leisten, Trösten, die Hand halten oder Ähnliches weggespart. Das ist schlimm für die Pflegebedürftigen, und auch für die Pflegenden: Denn dadurch wird ihnen ein Teil ihrer Arbeit genommen, der sicher maßgeblich für Arbeitszufriedenheit in diesem Bereich verantwortlich ist.
Hinzu kommt, dass Berufe in der Pflege auch mental sehr fordernd sind. Täglich mit Leid, Einsamkeit und Sterben konfrontiert zu sein, ist für keinen Menschen leicht. Und gerade vor dem Hintergrund, das man feststellt, es gibt zu wenige Menschen in Deutschland, die bereit sind, diese Berufe auszuüben, ist die Frage erlaubt: Könnte nicht eine Kombination aus menschlicheren Arbeitsbedingungen und besserem Gehalt diesen Beruf für viele deutlich attraktiver machen?
Die Finanzierungsfrage: Wer soll das bezahlen?
Das Problem: Pflege ist teuer. Und zwar richtig. Wer schon einmal vor der Entscheidung stand, einen Angehörigen dauerhaft in einer Vollzeitpflegeeinrichtung unterzubringen, weiß das: Die Summen, die für solche Pflegeplätze anfallen, sind enorm. Bereits hier müssen im großen Stil die Sozialkassen einspringen, weil sich viele Angehörige das schlichtweg nicht leisten können. Schnell ist man bei der Frage: Wer soll das alles bezahlen? Medizinische Ausstattung, Gehälter der Pflegekräfte, Pflegeimmobilien und deren Erhaltung – alles will schließlich finanziert sein.
Doch Fakt ist auch: Gerade eine moderne Gesellschaft wie unsere setzt es als selbstverständlich voraus, dass uns allen in jeder Lebenslage eine optimale gesundheitliche Versorgung zusteht. Dass es jedoch Realitäten gibt, die dem entgegenstehen, bemerken wir wohl jetzt in der Corona-Pandemie spätestens beim Blick über die Grenzen. Wie heftig die Corona-Krise einige europäische Industrienationen getroffen hat, ist erschreckend. Doch es zeigt auch: Wenn politische Gesellschaften nicht bereit sind, hohe Summen in die Ausstattung des Gesundheitswesens zu investieren, kann sich das bitter rächen.
Will man also langfristig eine gute Pflegeversorgung in der Gesellschaft sicherstellen, muss man höhere Personalschlüssel entwickeln, sprich mehr Personal einstellen. Das kostet mehr Geld. Steigende Gehälter würden diesen Effekt natürlich verstärken. Müssten die Heimbewohner diese Ausgabensteigerung zu 100 Prozent übernehmen, drohen massive Belastungen für die Sozialkassen. Zu diesen Erkenntnissen gelangt auch eine Studie der Universität Bremen, die sich mit der Personalbemessung in der Langzeitpflege beschäftigt. Eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung scheint da alternativlos.
Maßnahmen in der Krise: Pflegebonus und Mindestlohnanstieg
Corona-Bonus
Die Politik reagiert momentan kurzfristig, ganz im Sinne eines Krisenmanagements: Deutschlandweit sollen Pflegekräfte einen Pflegebonus von 1.500 Euro mit dem Juli-Gehalt ausbezahlt bekommen. Doch schon jetzt gibt es Streit um die Finanzierung. Die Krankenkassen wehren sich dagegen, dass die Kosten aus der Pflegeversicherung finanziert werden sollen. Ulrike Elsner, die Vorstandsvorsitzende des Ersatzkassen-Verbands VDEK, erklärt, es könne nicht sein, dass allein die Beitragszahler hierfür aufkommen müssten.
Doch wer zahlt dann? Sperren sich die Pflegekassen, bleiben zunächst nur die Pflegebedürftigen selbst, die dann über höhere Zuzahlungen zur Kasse gebeten würden, um den Pflegebonus zu finanzieren. Oder aber es braucht eine komplett neue Finanzierungsregelung von Seiten der Politik.
Mindestlohn
Außerdem sollen nun die Mindestlöhne für Altenpflegekräfte in Deutschland angehoben bzw. erweitert werden.
- Der Mindestlohn für Jobs als Pflegehilfskraft soll bis 1. April 2022 in vier Schritten steigen. Aktuell beträgt er noch 10,85 Euro (Ostdeutschland) und 11,35 Euro (Westdeutschland). Im April 2022 soll er dann in ganz Deutschland bei 12,55 Euro liegen. Seit 2023 liegt der Mindestlohn bei 13,90 Euro und soll im Dezember nochmal auf 14,15 Euro steigen. Bis Juli 2025 soll er auf 16,10 Euro steigen.
- Zudem soll es ab 1. Juli 2021 erstmals einen Mindestlohn für Pflegefachkräfte geben. Dieser liegt dann bei 15 Euro. Zum 1. April 2022 soll er auf 15,40 Euro ansteigen. Seit 2023 liegt er bei 17,65 Euro.
Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil seien diese Regelungen zum Mindestlohn ein guter Anfang. Es bleibt also für die Pflegebranche zu hoffe, dass weitere Maßnahmen folgen werden.
Und nun?
Wir hier in Deutschland sind bis jetzt noch relativ glimpflich davongekommen – zumindest in der Corona-Krise. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt. Trotzdem sollte die Krise unbedingt auch hierzulande ein Weckruf sein. Der Gesundheitshaushalt darf keinem Sparzwang zum Opfer fallen, denn der Preis dafür ist zu hoch. Auch hierzulande gibt es einen Pflege- bzw. Gesundheitsnotstand. Nur zwei Beispiele aus jüngster Zeit:
- Bezeichnend war unter anderem, wie lange die Zustände bezüglich fehlender Schutzkleidung im Bereich der Altenpflege gar nicht öffentlich thematisiert wurden. Schafften es schon große Kliniken nicht, an Atemschutzmasken usw. zu kommen, kann man sich vorstellen, wie die Situation beispielsweise im Bereich der ambulanten Pflege mit ihren vielen kleinen privaten Pflegediensten aussieht. Wie vernachlässigt das Thema Seniorenpflege in der öffentlichen Diskussion ist, zeigt auch ein Ergebnis einer Studie der Universität Bremen. Darin wurde festgestellt, dass in Deutschland bereits jetzt rund 150.000 Pflegekräfte in Altenheimen und Senioreneinrichtungen fehlen.
- Ein anderes Beispiel betrifft nicht die Pflege und ärztliche Versorgung von Senioren, sondern von Kindern. Auch das ist leider ein völlig „unrentabler“ Zweig – aus wirtschaftlicher Sicht. Bereits seit Monaten schlagen Kinderärzte in ganz Deutschland Alarm, dass zum Teil sogar schwerkranke Kinder und Jugendliche extrem lang auf wichtige Untersuchungen und Behandlungen warten müssen, weil Kliniken spezielle Abteilungen schließen oder aktuell nicht betreiben können. Der Grund: Es fehlt an Personal und/oder diese Abteilungen können aufgrund des aktuellen Vergütungssystems in diesem Bereich einfach nicht rentabel arbeiten.
Fazit
Noch stecken wir mitten in der Krise. Es bleibt zu hoffen, dass sie uns – möglichst schmerzfrei – wachrüttelt. Welche konkreten Maßnahmen die Politik am Ende trifft, um den Pflege- und Gesundheitssektor nachhaltig zu stärken, bleibt abzuwarten. Eines ist sicher: Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen ist ein Arbeitsmarkt, der auch in den kommenden Jahren weiter anwachsen wird. Es ist also jede Menge qualifiziertes Fachpersonal vonnöten. Schon jetzt ist der Bedarf an gut ausgebildeten Kranken- und Altenpflegern enorm. Vielleicht erkennt ja die Politik endlich die gesellschaftliche Bedeutung dieser Branche und es gelingt ihr, die Jobs im Pflegebereich durch angemessene Vergütung und attraktivere Rahmenbedingungen zu stärken. Es wäre auf jeden Fall wichtig, denn die Pflegebranche ist einer der ganz großen Arbeitsmärkte der Zukunft.
Quellen:
bundesgesundheitsministerium.de, statistik.arbeitsagentur.de, kksb.uni-bremen.de, tagesschau.de
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Veronika ist Redakteurin und Content-Managerin. Sie hat Kommunikationswissenschaften, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Französische Sprachwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und ist bereits über 15 Jahre journalistisch in Print und online unterwegs. Für careeasy – Dein Karriere-Magazin von stellenanzeigen.de recherchiert und schreibt Veronika zu Themen rund um Studium & Ausbildung, Karriere, Gesundheit im Job und Arbeitsrecht.