Mythen des Homeoffice: Produktivität und Krankenstand
Um das Arbeiten im Homeoffice ranken sich seit Jahren große Mythen. Faul, außer Kontrolle, ständig krank: So beurteilt mancher Chef seine Mobile Worker. Produktivität und Krankenstand der Arbeitnehmer sind heiß diskutierte Aspekte. Doch was ist tatsächlich dran an den Homeoffice-Klischees?
Inhaltsverzeichnis
1. Produktivität der Mitarbeiter
Jahrelang hatte das Homeoffice vor allem bei Unternehmern und Chefs vom alten Schlag einen schweren Stand. Wurde doch jedem Mitarbeiter, der von zuhause arbeiten wollte, ziemlich deutlich vorgeworfen, sich einen faulen Lenz machen zu wollen, wenig produktiv zu sein und sich heimlich still und leise dem prüfenden Blick durch den Vorgesetzten im Büro zu entziehen. Viele Chefs hatten oder haben ihrerseits ein Problem damit, diese scheinbare Mitarbeiter-Kontrolle an der Arbeitsstelle aufzugeben und den Arbeitnehmern den nötigen Vertrauensvorschuss zu gewähren.
Doch wie sieht es tatsächlich aus mit der Produktivität im Homeoffice?
Arbeitsvermeidung im Homeoffice – ein Problem?
In einer Online-Umfrage des Personaldienstleisters Robert Half unter 300 Führungskräften in Deutschland im Juli 2020 (Quelle), also mitten in der Coronapandemie, wollte man es etwas genauer von den Chefs wissen. Sie sollten ihre Vermutungen darüber preisgeben, was ihre Mitarbeiter im Homeoffice denn so alles treiben würden. Hier die meistgenannten Unterstellungen:
- Private Anrufe erledigen (31 Prozent)
- Wäsche waschen (30 Prozent)
- Onlineshopping (30 Prozent)
- Lebensmittel einkaufen (28 Prozent)
- Fernsehen (28 Prozent)
- Mit dem Hund Gassi gehen (23 Prozent)
Interessant ist jedoch, was für ein Resümee die Chefs anschließend nach einer längeren Homeoffice-Phase ihrer Mitarbeiter während der Pandemie zogen:
- Immerhin stolze 41 Prozent mussten zugeben, dass ihre Erwartungen bezüglich der Remote-Arbeitsergebnisse ihrer Mitarbeiter übertroffen wurden.
- 35 Prozent gaben an, ihre Erwartungen hätten der Realität entsprochen.
- Doch 24 Prozent der Vorgesetzten hatten nach der Homeoffice-Phase eine schlechtere Meinung von der Produktivität ihrer Mitarbeiter.
Nicht außer Acht lassen sollte man diesbezüglich jedoch, dass der Arbeitserfolg im Homeoffice natürlich auch stark von der digitalen Infrastruktur im Unternehmen und am Heimarbeitsplatz sowie dessen technischer und auch ergonomischer Ausgestaltung abhängt. Die Frage ist zudem, inwiefern es die Tages-Produktivität unterm Strich stört, wenn ein Mitarbeiter im Homeoffice zwischendurch mit dem Hund kurz Gassi geht oder Wäsche aufhängt, um anschließend vielleicht sogar konzentrierter weiterzuarbeiten.
Zunächst produktiver, aber dann …
Eine viel beachtete und sehr interessante Studie zum Thema Produktivität im Homeoffice hat die Stanford University im Jahr 2017 durchgeführt (Quelle). Sie startete ein Experiment gemeinsam mit einer chinesischen Reiseagentur mit Arbeitssitz in Shanghai.
Dafür wurden 500 Mitarbeiter der Agentur in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Hälfte arbeitete weiterhin komplett aus dem Headquarter, während die andere Hälfte vollständig ins Homeoffice wechselte. Bei den Heimarbeitern wurde darauf geachtet, dass sie alle bereits seit mindestens sechs Monaten im Unternehmen tätig waren, zuhause ein separates Arbeitszimmer hatten und ausreichend schnelles Internet zur Verfügung stand.
Die Ergebnisse der Untersuchung waren beeindruckend: Die Mitarbeiter im Homeoffice konnten ihre Produktivität steigern und ihre Fehlzeiten reduzieren, im Vergleich zur Gruppe derer, die in der Firma arbeiteten. Die Heimarbeiter machten weniger und kürzere Pausen während der Arbeitszeit, nahmen insgesamt weniger Urlaub und fehlten seltener wegen Krankheit. Sie gaben zudem an, es falle ihnen leichter, sich zuhause zu konzentrieren. Das Unternehmen in Shanghai sparte durch die reduzierten Büroflächen immense Bürokosten (ca. 2.000 Dollar pro Arbeitnehmer).
Ein glatter Punktgewinn fürs Homeoffice?
… Sehnsucht nach Kollegen
Nicht ganz. Denn nach einer gewissen Zeit beklagten rund die Hälfte der Studienteilnehmer die Isolation im Homeoffice. Das empfanden sie sogar als so einschränkend, dass sie zum Großteil wieder ins Büro zurückkehren wollten.
Im Grunde genommen entspricht das einer Erfahrung, die hierzulande viele Arbeitnehmer während der Coronapandemie gemacht haben dürften. Zunächst war das Arbeiten im Homeoffice für uns alle super attraktiv: kein stressiger Arbeitsweg mehr und wir konnten uns den Tag frei und flexibel einteilen. Doch auf die Dauer hast du womöglich auch gespürt, dass das Konzept deutlich an Reiz verloren hat. Man fühlte sich einfach einsam.
Bereits nach einigen Monaten verspürte auch in der Studie ein Großteil der Beschäftigten sehr stark das Bedürfnis nach mehr zwischenmenschlichem Austausch und direkter Begegnung im Büro. Eine solch begründete Unzufriedenheit hat sicher auch das Potenzial, längerfristig wiederum negative Auswirkungen auf die Produktivität der Mitarbeiter zu entwickeln. Deshalb sollte man diese Empfindungen durchaus ernst nehmen.
Langfristig: Wechselbeschäftigung anstreben
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie des Fraunhofer Instituts (Quelle). An der webbasierten Befragung „Homeoffice Experience“ nahmen 2.100 Personen aus privaten Unternehmen und öffentlichen Organisationen vorwiegend aus Deutschland teil. Sie fand im Zeitraum von Mai bis Juli 2020 statt und ist auch von der Coronapandemie geprägt.
Hier konnte ein Rückgang der Produktivität der Mitarbeiter während der ersten vier Homeoffice-Wochen ausgemacht werden, den die Wissenschaftler in erster Linie noch einem Mangel an Informationen und Ausstattung zuschreiben. Ab Woche 5 bis Woche 12 stiegen Informationsfluss und Performance kontinuierlich an. Jedoch erfolgte ab Woche 13 ein konstanter Rückgang beider Faktoren.
Es scheint also so, dass ausschließliches Homeoffice doch bei vielen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit zu sinkender Produktivität und auch zu Unzufriedenheit führen kann. Deshalb könnte es Sinn machen, langfristig den Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, flexibel zwischen Heimarbeit und Anwesenheit im Büro zu wechseln.
2. Krankheitsstand der Arbeitnehmer
Was die Meinung über den Krankenstand bzw. die Anzahl der Krankentage von Mitarbeitern im Homeoffice angeht, gibt es zwei verschiedene Fraktionen:
Die einen meinen, Mitarbeiter im Homeoffice seien fern jeder Kontrolle, auch die emotionale Verbindung zum Unternehmen ginge verloren und deshalb seien die Versuchung und die Bereitschaft größer, sich schneller krank zu melden. Die Mitarbeiter fühlten sich sozusagen außerhalb des Kontrollbereichs.
Andere jedoch sind davon überzeugt, dass Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, weniger Krankentage in Anspruch nehmen. Sie seien öfter auch mit leichten gesundheitlichen Einschränkungen bereit, im Homeoffice zu arbeiten.
Wie entwickelt sich der Krankenstand bei Homeoffice-Arbeitnehmern?
Die Coronapandemie als deutschlandweites Großprojekt in Sachen (erzwungenem) Homeoffice hat auch hier interessante Daten zu bieten. Zunächst war im März und April 2020 laut der deutschen Krankenkassen ein Anstieg an Krankmeldungen aufgrund von Erkältungssymptomen zu verzeichnen (Quelle). Dieser ging sicherlich auch auf die damals allgemeine Order zurück, sich bereits bei leichten Erkältungssymptomen nicht zur Arbeit zu begeben. Zudem war es möglich geworden, sich per Videosprechstunde krankschreiben zu lassen.
Ab Mai bis einschließlich August 2020 stellten die Krankenkassen jedoch fest, dass deutlich weniger Krankschreibungen von Arbeitnehmern zu verzeichnen waren als in den Jahren zuvor.
Das mag vielfältige Gründe gehabt haben: Zum einen hatten viele Menschen schlicht und ergreifend Angst, eine Arztpraxis aufzusuchen, und sich dort womöglich mit Corona zu infizieren. Zum anderen arbeiteten aber eben auch sehr viele Menschen im Homeoffice. Und tatsächlich ist es so, dass Arbeitnehmer mit einer leichten Erkältung eher arbeiten, wenn sie im Homeoffice tätig sind, als wenn sie sich mit Schnupfen und Husten auf den Weg ins Büro machen müssen und dort unter Kollegen arbeiten. Diese Erfahrung hast du sicher selbst schon einmal gemacht.
Was ganz sicher nur für sehr leichte Krankheitsbilder gilt, kann sich aber durchaus übers Jahr gesehen niederschlagen: Schätzt man grob, dass sich ein Arbeitnehmer zwei- bis dreimal pro Jahr eine leichte Erkältung einfängt, mit der er von zuhause aus durchaus arbeitet, aber den Weg ins Büro nicht auf sich nehmen mag, sind das schnell zwei bis vier Krankentage, die durch Homeoffice eingespart werden können.
Hinzu kommt, dass Menschen, die keinen Arbeitsweg mehr auf sich nehmen und dafür zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel nutzen müssen, ihr Ansteckungsrisiko deutlich mindern können. Weniger Begegnungsmöglichkeiten reduzieren schlicht und ergreifend die Wahrscheinlichkeit, sich irgendwo oder bei irgendwem mit irgendetwas anzustecken.
Fehlende Ergonomie als Krankheitsauslöser
Homeoffice kann sich also auf die Anzahl der Fehltage von Arbeitnehmern aufgrund von leichten Erkältungsinfekten durchaus positiv auswirken. Jedoch kann das Homeoffice wohl andere gesundheitliche Probleme mit sich bringen.
Laut einer Untersuchung (Quelle) des Unternehmens Fellowes in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Atomik Research zur Belastung von Büroangestellten kann Homeoffice vor allem physische Probleme wie Nacken- und Rückenschmerzen sowie Kopfweh verstärkt hervorrufen. 1.000 Arbeitnehmer, die seit mindestens vier Monaten von zuhause arbeiteten, wurden im Rahmen der Studie im Zeitraum vom 10. bis 14. November 2020 befragt. Vor allem fehlende ergonomisch gestaltete Arbeitsplatzsituationen zuhause sind wohl der Grund für diese körperlichen Beschwerden. Da rund 20 Prozent der Befragten angaben, am Küchentisch zu arbeiten, ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich.
Nur 41 Prozent der Studienteilnehmer verfügten nach eigenen Angaben über eine ordnungsgemäße Arbeitsplatzeinrichtung.
Achtung: Dass diese gewährleistet ist, muss nach aktueller Gesetzeslage eigentlich der Arbeitgeber sicherstellen.
Die Psyche nicht außer Acht lassen
Hinzu kommt jedoch, dass auch eine psychische Belastung im Homeoffice wahrgenommen wurde:
- Rund 40 Prozent der Befragten fühlten sich müde und antriebslos,
- rund 34 Prozent einsam und isoliert beim Arbeiten zuhause.
- 25 Prozent gaben an, gestresst oder ängstlich zu sein.
Allerdings kann man in Pandemiezeiten die gesellschaftliche Gesamtsituation nicht komplett von der Arbeitssituation trennen. Die Befragung hat mitten in der Coronapandemie stattgefunden, die von generellen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie vielen privaten Überforderungsszenarien dominiert war. Sicherlich hatten auch diese einen Einfluss auf die psychische Verfassung der Befragten.
Auch spannend: Immerhin jeder fünfte gab an, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er im Homeoffice eine kurze Pause einlegt. Durchaus besteht ja beim effektiven Arbeiten in den eigenen vier Wänden auch immer die Gefahr der Selbstausbeutung und die Herausforderung, eine gesunde Balance zwischen Freizeit und Arbeit zu finden.
Denn Fakt ist: Während der eine sich sehr schwertut, im Homeoffice Konzentration zu finden und sich nicht ablenken zu lassen, hat der andere hingegen Probleme damit, abzuschalten, die Arbeit auch einmal ruhen zu lassen und Privatleben und Geschäftliches klar voneinander zu trennen. Mindert ersteres die Produktivität des Arbeitnehmers, so kann letzteres langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit des Mitarbeiters haben.
Fazit
Die Coronapandemie hat uns in Deutschland quasi einen groß angelegten Feldversuch in Sachen Homeoffice beschert. Generell lässt sich sagen, dass das Homeoffice Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber vor neue Herausforderungen stellt. Sind die Rahmenbedingungen für das Homeoffice optimal ausgestaltet, kann es einen deutlichen Produktivitäts- und Motivationsschub für die Mitarbeiter bedeuten. Besonders positiv auf die mentale Gesundheit und auch die Arbeitszufriedenheit der Arbeitnehmer dürfte sich langfristig ein Wechselmodell zwischen Arbeiten im Büro und im Homeoffice auswirken. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und er die direkten Kontakte im Büro nicht nur für einen reibungslosen Arbeitsprozess, sondern auch für das eigenen Wohlbefinden braucht. Prinzipiell wertet eine Mehrzahl der Arbeitenden die beständige Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, als sehr positiv, da sie ein Maximum an Flexibilität auch in Bezug auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatem ermöglicht.
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form (generisches Maskulinum), z. B. „der Mitarbeiter“. Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und ist wertfrei.
Veronika ist Redakteurin und Content-Managerin. Sie hat Kommunikationswissenschaften, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Französische Sprachwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und ist bereits über 15 Jahre journalistisch in Print und online unterwegs. Für careeasy – Dein Karriere-Magazin von stellenanzeigen.de recherchiert und schreibt Veronika zu Themen rund um Studium & Ausbildung, Karriere, Gesundheit im Job und Arbeitsrecht.