Sexismus am Arbeitsplatz: Was tun?
Endlich mal ein Thema, bei dem (leider) fast alle mitreden können: Denn mal ehrlich, wer erinnert sich nicht mindestens an eine sexistische Situation bislang in seinem Arbeitsleben? Falls du jetzt zu denjenigen gehörst, die keine entsprechenden Erfahrungen mitbringen, bist du vermutlich – ein Mann. Leider gehört Sexismus am Arbeitsplatz für viele zum Alltag. Betroffen sind in der Mehrzahl tatsächlich Frauen. Es gibt aber durchaus auch Männer, die diesbezüglich von unschönen Erlebnissen berichten können.
Inhaltsverzeichnis
Anzahl der Betroffenen schockiert
Die Anzahl derer, die schon einmal Sexismus erlebt haben, ist erschreckend hoch. Im Rahmen einer Studie des Delta-Instituts wurden im Dezember 2018 in Deutschland 2.172 Menschen zum Thema Sexismus befragt. Dabei ging es nicht speziell um die Situation am Arbeitsplatz, sondern generell um Erfahrungen diesbezüglich. Die Befragungen fanden in Form von direkten Interviews statt.
Der Anteil der Befragten, die selbst schon einmal sexistische Übergriffe auf die eigene Person erlebt haben, lag in den Altersgruppen
- 16 – 24 Jahre bei 68 Prozent der Frauen und 43 Prozent der Männer,
- 25 – 34 Jahre bei 64 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer,
- 35 – 44 Jahre bei 62 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer,
- 45 – 54 Jahre bei 50 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer,
- 55 – 64 Jahre bei 50 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer und
- 64 Jahre und älter bei 56 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer.
Über alle Altersgruppen verteilt befindet sich der Prozentsatz der Frauen bei 50 oder mehr Prozent, das heißt, mindestens jede zweite Frau kann von sexistischen Übergriffen aus eigener Erfahrung berichten. Und gerade bei den jüngeren Männern ist der Prozentsatz der Betroffenen ebenfalls sehr hoch.
Mit Sexismus kann man in nahezu allen Lebensbereichen konfrontiert werden. Allerdings eignen sich der Arbeitsplatz bzw. die Karrierewelt durch das dort existierende, in der Regel beruflich begründete Machtgefälle leider besonders gut für Entgleisungen dieser Art.
Was ist Sexismus?
Sexismus findet dort statt, wo Geschlechter nicht als gleichwertig angesehen werden und nicht gleichberechtigt sind. Besteht ein Machtgefälle, sprich, es fühlt sich ein Geschlecht dem anderen als überlegen, ist der Boden für Sexismus bereitet. Die Ausprägungen von Sexismus können sehr vielfältig sein. Sie können alle Handlungsebenen betreffen:
- indirekte sprachliche Diskriminierung
- direkte verbale Beleidigungen oder Herabsetzungen
- diskriminierende Abbildungen
- diskriminierende Blicke oder Geräusche
- beleidigende Gesten
- sexuelle Belästigung in Form von ungewollten Berührungen, Festhalten, usw. – bis hin zu sexueller Gewalt
Die Liste ließe sich gefühlt endlos verlängern: Es gibt unzählige Arten, jemanden einzuschüchtern, klein zu machen, unter Druck zu setzen, zu belästigen oder zu beleidigen – immer vor dem Hintergrund des Geschlechts, das der- bzw. diejenige hat.
Ohne Frage gibt es dabei unterschiedlich heftige Konfrontationen. Wird man körperlich bedrängt oder massiv verbal beleidigt, hat das sicher eine andere Tragweite als ein kurzer Pfiff am Gang. Allerdings sollte man nicht unterschätzen, welches Klima bereits scheinbar harmlose sexistische Äußerungen oder Handlungen bereiten. Und auf diesem Nährboden entstehen dann oft erst in der Folge weitere, schwerwiegende sexistische Auswüchse.
Generell haben alle diese Situationen mit der Art und Weise zu tun, wie sich Menschen begegnen. Sind in einem bestimmten Umfeld wie beispielsweise einem Unternehmen Begegnungen auf Augenhöhe, Respekt voreinander, Toleranz und auch Anstand bzw. Höflichkeit etabliert, so hat sexistisches Verhalten wenig Chancen, sich durchzusetzen. Nicht nur, aber auch den Vorgesetzten und der Chefetage kommt hier durchaus eine Vorbildfunktion zu. Wo alle diese Dinge hingegen fehlen, ist der Weg zu Sexismus in der Regel nicht mehr weit.
Beispiele für sexistische Situationen am Arbeitsplatz
Vielleicht fallen dir selbst sofort mehrere sexistische Situationen ein, die du bereits erlebt hast. Der Klassiker der feucht-warmen Fahrlehrerhand auf dem Oberschenkel während der Fahrstunde ist da sicher nur ein kleines Detail, an das sich viele junge Frauen gemeinsam erinnern „dürfen“. Ob im Sportverein, in der Schule, aber auch auf Jugendfreizeiten oder in kirchlichen Gruppierungen – sexistische Erfahrungen machen die meisten von uns leider bereits sehr früh. Diese Entgleisungen machen auch vor der Arbeitswelt nicht halt.
Hier ein paar klassische Beispiele für Sexismus am Arbeitsplatz:
Der Pfiff im Vorübergehen …
Du stehst am Drucker im Gang und wartest auf deine Papiere, da tönt unmissverständlich ein flotter, kurzer und auch eindeutiger Pfiff hinter dir. Als du dich umdrehst, siehst du gerade noch, wie sich die Tür hinter dem Kollegen schließt und er dir durch die Scheibe aufreizend zuzwinkert. Als du die Begebenheit deiner Kollegin erzählst, meint die nur trocken: „Also weißt du: Dein Rock heute ist so kurz, da musst du dich jetzt echt nicht wundern. Und sei mal ehrlich: Eigentlich wartest du doch drauf, dass dir einer nachpfeift…“
Dating-Druck …
Deine Vorgesetzte checkt es einfach nicht: Jetzt hast du ihr schon dreimal einen Korb gegeben, als sie dich zu einem abendlichen Büro-Date gebeten hat, allein zu zweit, der „erdrückenden Auftragslage wegen“. Ständig fragt sie dich zudem über dein privates Liebesleben aus. Und jetzt das: Obwohl es um Kunden deines Kollegen geht, hat sie nun dich auf die gemeinsame Geschäftsreise mit ihr gebucht – vier Tage quer durch Deutschland, nur ihr beide – im Auto, im Hotel, beim Kunden, zum Abendessen. Wenn du daran denkst, bricht dir jetzt schon der Schweiß aus. Vermutlich werden ihre Avancen im Verlauf der Reise immer eindeutiger werden … Was sollst du nur tun? Deinen Job darfst du auf keinen Fall verlieren, schließlich muss der Hauskredit abbezahlt werden.
Berührungen zwischen Tür und Angel …
Warum kann der Kollege eigentlich nie warten, bis du den Meetingraum verlassen hast, sondern muss sich immer gleichzeitig mit dir durch die Tür quetschen? Körperliche Berührungspunkte inklusive. Auch an der Kaffeemaschine im Pausenraum drängt er sich ständig eng an dir vorbei und du spürst eindeutig mehr von ihm, als du möchtest. Irgendwie kommst du dir aber blöd vor, ihn deswegen anzusprechen und zurechtzuweisen. Vielleicht bildest du dir das alles ja auch nur ein und es ist einfach nur Zufall?
Verbale Entgleisungen …
„Ey Darling, du siehst aber heute wieder knackig aus! Von dir würde ich mich abends auch mal gern verwöhnen lassen“, tönt deine Kollegin morgens lauthals durchs Großraumbüro, wenn sie dich erblickt und ihren Platz schräg gegenüber von dir einnimmt. Am Anfang fandest du diese Aussagen einfach nur seltsam, aber mittlerweile stört es dich echt. Sie hört nicht damit auf, und deine Kollegen amüsieren sich insgeheim schon ziemlich deutlich über diese Situationen. Du fühlst dich dabei aber extrem unwohl. Denn jetzt haben schon andere Mitarbeiter damit angefangen, dich ebenfalls schwach in diese Richtung anzusprechen. Dein neuer interner Spitzname: the Womanizer. Auf dieses Thema reduziert zu werden, stört dich ungemein – speziell im beruflichen Kontext.
Du als Mann/Frau machst mal lieber …
Schon klar: Du als Frau nimmst bei der Geschäftsreise automatisch auf dem Beifahrersitz Platz. Ungefragt hat dein Kollege das Steuer übernommen, denn – mal ehrlich: „Frau am Steuer, Ungeheuer, oder?“, witzelt er spontan. Soll hingegen der Kaffeetisch im Konferenzzimmer eingedeckt werden, ist ganz klar, dass du das übernimmst – „Frauen haben dafür einfach ein besseres Händchen, oder?“. Und den Marketing-Pitch für den Automobilhersteller hat dein Chef diskussionslos deinem männlichen Kollegen auf dem Tisch platziert. Das Thema sei „eher männlich“ definiert, so seine Aussage. Da bleibt auch dir die Spucke weg.
Was kann Mann/Frau tun?
Das Problem: Für viele betroffene Personen ist die Hemmschwelle, sich zu wehren oder sich Hilfe zu holen, sehr hoch. Immer noch ist das Thema Sexualität generell und sexuelle Belästigung insbesondere mit Scham verbunden; und zwar der Scham der Opfer. Durch sexualisierte Belästigung herabgewürdigt zu werden, über sexistische Witze zur Lachnummer der Kollegen zu degenerieren oder gar mit einem sexuellen Übergriff gedemütigt zu werden, ist für jede Frau und jeden Mann verletzend, peinlich und unangenehm. Bereits der erste Schritt, sich quasi als Betroffene/r zu outen, erfordert großen Mut und Selbstbewusstsein. Beides fehlt einem in solch einer Situation meist.
Aber es hilft nichts: Um der Spirale zu entgehen, muss man aufstehen und laut werden.
Abwarten, dass sich solche Situationen von selbst in Luft auflösen, ist keine Strategie, die aufgeht. In der Regel interpretieren sexistisch agierende Täter nämlich Schweigen sogar als stumme Zustimmung. Natürlich solltest du immer klar und deutlich kommunizieren, wenn dich etwas stört, wenn du etwas nicht möchtest oder wenn dir etwas zu weit geht. Aber leider ist das oftmals leichter gesagt als getan; manche Betroffenen trauen sich schlicht nicht, und umgekehrt werden klare „Neins“ auch oft genug missachtet.
Um dem Teufelskreis ein Ende zu bereiten, muss man Sexismus erkennen, benennen – und schließlich durch den Gang an die Öffentlichkeit beenden.
Erkennen.
Ein erster Schritt ist, das Problem für sich selbst in Worte – oder sogar in Schrift – zu fassen. Bist du betroffen, dann versuche, zu Papier zu bringen, was dir passiert. In welchen Situationen fühltest du dich belästigt oder benachteiligt aufgrund deines Geschlechts? Wie hast du darauf reagiert bzw. wie ging es dir emotional damit? Indem du die Erlebnisse Schwarz auf Weiß vor dir hast, wirst du dir ihrer Tragweite noch einmal bewusst und kannst sie für dich einordnen.
Du stellst jetzt fest: Ich habe ein Problem, und ich muss etwas dagegen tun.
Benennen.
Als nächstes ist es wichtig, jemanden ins Vertrauen zu ziehen. Das wird zunächst jemand aus dem privaten Umfeld sein, ein Freund oder eine Freundin, oder jemand aus deiner Familie. Das kostet Überwindung, aber es lohnt sich: Sobald du jemandem dein Herz ausgeschüttet hast, spürst du dich eventuell schon etwas entlastet. Das ist jedoch nur der erste Schritt.
Falls du demjenigen sehr nahestehst, könnt ihr auch gemeinsam überlegen, wie man weiter vorgehen kann.
Unweigerlich musst du die von dir empfundene Belästigung aber auch im Arbeitsumfeld ansprechen. Vielleicht kannst du zunächst einen vertrauten Kollegen um Rat fragen. Oder du hast ein sehr gutes Verhältnis zu deiner Vorgesetzten oder deinem Chef und schaffst es, in einem Vier-Augen-Gespräch das Thema anzusprechen. Eine weitere Anlaufstelle kann die Personalabteilung oder eine Gleichstellungsbeauftragte im Unternehmen sein.
Wichtig ist dabei, dass du die Erlebnisse in erster Linie aus deiner Perspektive schilderst. Fokussiere dich darauf, wie du die Situationen empfindest, wie es dir dabei geht und welche Konsequenzen das Ganze auch auf deine Situation im Büro und deine Arbeitsleistung hat. Wirf nicht wild mit Anschuldigungen um dich, sondern skizziere das Problem so nüchtern es geht aus deiner Sicht.
Laut werden.
Die Verhinderung und Vermeidung von Sexismus ist kein freiwilliges Vergnügen. Arbeitgeber sind dazu angehalten, auf Gleichberechtigung ihrer Mitarbeiter zu achten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet sie dazu, sexuelle Belästigung zu verhindern, zu beenden und auch Beschäftigte präventiv zu schützen.
Um gehört zu werden, musst du als Betroffene oder Betroffener sprechen. Daran führt kein Weg vorbei. Unternehmen sollten jedoch generell Strukturen schaffen, die es Mitarbeitern auch möglich machen, solche Themen frühzeitig anzusprechen. Nur so kann sexistischen Entgleisungen die Grundlage entzogen werden.
Solche Strukturen können zum Beispiel eine Gleichstellungsbeauftragte in der Firma oder eine entsprechende Schieds- oder Beschwerdestelle sein. Diese müssen aber der Belegschaft auch bekannt sein, und es muss sich um ein niederschwelliges Angebot handeln. Das heißt, es muss für Betroffene so leicht wie möglich sein, sich mit ihrem Anliegen an die entsprechende Stelle zu wenden. In der Folge sollten sexistische Vorkommnisse dann natürlich auch geahndet werden und Konsequenzen nach sich ziehen. Täter laufen ganz klar Gefahr, eine verhaltensbedingte Kündigung zu bekommen.
Fazit
Unverzichtbar ist bei diesem Thema eine klare, unmissverständliche Haltung der Unternehmen: Arbeitgeber müssen einen respektvollen Umgang vorleben und solch ein Arbeitsklima bewusst fördern. Wenn es allerdings zur Firmenkultur gehört, dass über Minderheiten permanent gewitzelt wird, dass geschlechtsspezifische Beleidigungen salonfähig sind und vielleicht sogar die Vorgesetztenetage diesbezüglich mit schlechtem Beispiel voran geht, ist es für Betroffene unendlich schwieriger, auf Sexismus aufmerksam zu machen und sich Hilfe zu holen. Da allein schon durch die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung immer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, haben Opfer verständlicherweise auch Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie das Thema öffentlich machen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass es in jeder Firma einen klar definierten Ansprechpartner für diesen Bereich gibt, der auch jedem Mitarbeiter bekannt ist.
Quellen:
coe.int/de/web/human-rights-channel/stop-sexism, statista.de, staerker-als-gewalt.de
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form (generisches Maskulinum), z. B. „der Mitarbeiter“. Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und ist wertfrei.
Veronika ist Redakteurin und Content-Managerin. Sie hat Kommunikationswissenschaften, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Französische Sprachwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und ist bereits über 15 Jahre journalistisch in Print und online unterwegs. Für careeasy – Dein Karriere-Magazin von stellenanzeigen.de recherchiert und schreibt Veronika zu Themen rund um Studium & Ausbildung, Karriere, Gesundheit im Job und Arbeitsrecht.