Die Chefsekretärin ist natürlich eine zierliche, sehr freundliche Frau und nickt wahnsinnig gerne, der Abteilungsleiter hingegen ist selbstverständlich dominant, aufbrausend und vor allem – ein Mann. Gefühlt begegnen uns Stereotype in der Arbeitswelt überall – oder sitzen sie eigentlich in unseren Köpfen und werden deshalb Realität? Eine Spurensuche.

„Typisch Frau“, das hat sicherlich jede Arbeitnehmerin schon mal gehört, wenn sie gemeinsam mit ihrer Kollegin beim Firmenevent auf die Toilette verschwunden ist. Und umgekehrt mussten sich viele männliche Mitarbeiter vielleicht schon oft anhören, wie „typisch männlich“ es sei, dass sie auch nach Niederlagen immer den starken Max markieren müssen. Ganz selbstverständlich arbeitet im Krankenhaus die Krankenschwester, und wenn man sein Auto reparieren lässt, dann macht das der Mechaniker. Erscheint dann eine Frau im Blau-Mann (!), ist bei manchen Kunden der Schrecken groß. Denn wir ordnen bestimmte Berufe, Eigenschaften und Rollenmuster immer noch sehr häufig geschlechtsspezifisch zu.

Echt jetzt? Immer noch?

Ja, trotz Emanzipation, spürbar mehr Gleichberechtigung, Gender-Themen überall – bei manchen Klischees hat man das Gefühl, sie kleben an uns fest wie Kaugummi. Warum ist das so?

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Definition: Stereotyp, Klischee, Vorurteil

Die Begriffe Stereotyp, Vorurteil und Klischee werden oftmals vermischt. 

Ein Stereotyp ist ein bestimmtes Bild, das wir von einem einzelnen Menschen oder einem Angehörigen einer bestimmten sozialen, ethnischen, religiösen usw. Gruppe haben. In der Regel ist es ein stark vereinfachtes, reduziertes Bild – mit dem Sinn, die Komplexität der Realität zu verringern.

Stereotype sind notwendig für das Zusammenleben und laufen automatisiert in unseren Köpfen ab. Sie entlasten unsere Gehirne, die andernfalls in jeder Situation eine komplette Neubewertung der Beteiligten leisten müssten. Da sie quasi wie Schablonen funktionieren, erleichtern sie den Menschen den Alltag. Dabei sind sich die Menschen aber im Normalfall dessen bewusst, dass die Wirklichkeit und damit auch jedes Individuum viel facettenreicher und komplexer ist.

Stereotype müssen nicht wahr sein. Sie vereinfachen stark. Auch stellt sich immer noch die Frage, woher sie kommen und wodurch sie entstanden sind.

Beispiel: Frauen interessieren sich nicht für Technik.

Das Klischee hingegen kann nicht nur eine Person betreffen, sondern auch ein Verhalten, eine Einstellung, ein Phänomen oder eine Atmosphäre. Klischees entstehen, wenn sich Stereotype zu sehr verfestigen und überhaupt nicht mehr kritisch hinterfragt werden. Der Übergang zwischen Stereotyp und Klischee kann fließend sein.

Beispiel: In jedem Start-Up steht ein Kickertisch.

Ein Vorurteil wird willentlich vertreten, es läuft nicht im Unterbewussten ab. Es handelt sich dabei um unreflektierte, verfestigte Meinungen, mit negativen Bewertungen versehen. Basis für Vorurteile sind oftmals Stereotype.

Beispiel: Beamte sind faul.

Im Unterbewussten

Das Problem: Vor allem Geschlechterstereotype sind so stark in uns verinnerlicht, dass wir sie gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, und sie flugs zum Rollenklischee werden. Sie sind in unseren Köpfen nämlich meist im Rahmen unserer Sozialisation entstanden. Es spielt also bereits eine Rolle, wie unsere Eltern und unser Umfeld in unserer frühkindlichen Phase mit diesen Themen umgegangen sind. Handeln wir später entsprechend, fällt uns das gar nicht mehr auf – es ist für uns selbstverständlich.

Nimmt zum Beispiel der Physiklehrer öfter die Jungs dran, obwohl sich die Mädchen auch melden, wird ihm das oftmals erst bewusst, wenn er sich später eine Videoaufnahme seiner Stunde ansieht. Vorab würde er das entrüstet von sich weisen und behaupten, die Jungs arbeiteten eben einfach aktiver mit.

Oder aber das kleine Mädchen bekommt selbstverständlich eine Puppe inklusive Buggy und süße Haargummis geschenkt, während der Bruder den Technikbaukasten und das neuste Zocker-Game unterm Weihnachtsbaum findet. Warum die Eltern oder Großeltern so schenken? Das können sie wahrscheinlich gar nicht wirklich begründen.

Unterbewusst verbinden wir immer noch bestimmte Eigenschaften eher mit dem männlichen Geschlecht, andere wiederum mit dem weiblichen. So assoziieren viele Menschen Stärke, Bewegung, Forschergeist, Durchsetzungskraft, Technikverständnis und handwerkliche Arbeit eher mit dem männlichen Stereotyp. Frauen hingegen werden oftmals mit Kommunikation, Einfühlsamkeit, Empathie, Fürsorge, Kreativität und Pädagogik in Verbindung gebracht. 

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Urteil ohne Vorurteil?

Natürlich ist nicht zu bezweifeln, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Ob aber unterschiedliche Begabungen, anderes Verhalten oder verschiedenartige Problemlösungskompetenz allein aufgrund des Geschlechts bestehen, ist wohl mehr als fraglich. Erziehung, Sozialisation, Förderung und Rahmenbedingungen spielen sicherlich eine große Rolle bei der Frage, was man später einmal werden will bzw. für welchen Beruf man sich dann tatsächlich entscheidet.

Spannendes Exempel:

Jahrelang stagnierte der Anteil weiblicher Profi-Orchestermusikerinnen in den großen, bekannten Sinfonieorchestern in den USA bei um die fünf Prozent. Die Dirigenten, die für die Auswahl der Bewerber zuständig waren, beteuerten stets, es läge am mangelnden Können bzw. aufgrund geringeren Lungenvolumens und anderer Lippengröße sei die Tonqualität einfach bei Frauen oft geringer als bei Männern. Das habe nichts mit Sexismus oder Vorurteilen zu tun; sie würden wirklich rein nach Qualität des musikalischen Vorspiels unterscheiden.

Dann führten einige Orchester die Praxis ein, dass das Musikvorspiel hinter einem Vorhang oder anderweitigem Sichtschutz stattzufinden hatte. So konnte der Dirigent nicht erkennen, ob es sich um einen weiblichen oder männlichen Bewerber handelte. Das Ergebnis: Mittlerweile ist der Frauenanteil in diesen Orchestern auf ca. 40 Prozent angewachsen. Erst blind konnte die Jury wohl wirklich vorurteilsfrei entscheiden.

Personalwesen & Recruiting: Stereotype beim Einstellungsprozess

Das Unterbewusste kann uns also sehr wohl manchmal einen Strich durch die Rechnung machen. Selbst wenn wir uns als aufgeklärt, tolerant, weltoffen und Anhänger des emanzipierten Gedankens beurteilen würden, heißt das nicht zwangsläufig, dass wir uns auch immer entsprechend verhalten. Und deshalb kann es durchaus Sinn machen, zu Hilfsmitteln wie in diesem Fall einem Vorhang zu greifen, um eine neutrale Wettbewerbssituation zu schaffen. So ist es ja auch in den USA üblich, explizit keine Bewerbungsfotos beizulegen, um einer möglichen Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten keinen Vorschub zu leisten.

Oftmals wird nämlich durch Stereotype nur eine bisherige Situation weiterhin zementiert.

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Ein Beispiel: Da bislang – aus den verschiedensten Gründen – viel weniger Frauen in der Halbleiterforschung tätig sind als Männer, verfestigt sich auch gesellschaftlich diese Ansicht, dass das eben die Realität und dadurch „passend“ sei – aus welchem Grund auch immer. Halbleiterforschung wird in der Folge mit männlichen Wissenschaftlern assoziiert. Als Frau gilt man in diesem Bereich dann als Ausnahme, wird manchmal gar als „überehrgeizige“ Exotin wahrgenommen. Männer hingegen haben in dieser Branche einen Gewohnheitsvorteil, sie entsprechen der Norm. 

Hinzu kommt, dass oftmals in Unternehmen nach dem Prinzip der Kooptation eingestellt wird. Darunter versteht man die Praxis, Nachfolgerinnen oder Nachfolger nach dem Prinzip der größten Gleichheit auszuwählen. Heißt im täglichen Leben: Der männliche Forschungsleiter stellt eher wieder einen männlichen Teamleiter ein. Die weibliche Kita-Leitung entscheidet sich wiederum eher für eine Frau als Nachfolgerin. 

So werden tradierte Rollenklischees immer weiter begünstigt.

Mehr Mut zum Wandel

Doch wie lässt sich dem entgegenwirken? Wie können die Ressourcen eines jeden Menschen im Beruf optimal zum Einsatz kommen, fernab von Klischees und Vorurteilen?

Selbstbewusstsein stärken

Experten sind sich mittlerweile einig, dass man bereits sehr früh damit beginnen sollte, Mädchen und Jungen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und Interessen nicht nur zu wecken, sondern auch zu fördern. Hierfür gibt es schulische Angebote wie Girls- oder Boys-Days, an denen junge Frauen und junge Männer in Berufsfelder hineinschnuppern können, in denen ihr Geschlecht bislang deutlich unterrepräsentiert ist. Es gibt Ansätze, solche Aktionen bereits in Kindergärten durchzuführen, um noch früher im Kindesalter die verschiedenen Optionen aufzuzeigen.

Bekannte Vorbilder

Hilfreich für Kinder sind immer auch Vorbilder, die ihnen in irgendeiner Art und Weise ähneln, und denen sie nacheifern können. Gerade im beruflichen Kontext können in der Öffentlichkeit bekannte Rollenmodelle bestimmter Berufsgruppen durchaus einen Bewerbungshype bei bestimmten Ausbildungsgängen o.ä. hervorrufen. Das kann zum Beispiel eine berühmte Astronautin, erfolgreiche Bänkerin oder ein bekannter Tänzer sein.

Aber Vorbilder können auch dem eigenen Umfeld entstammen: So kann ein sehr engagierter Grundschullehrer Ansporn für das Ergreifen dieses Jobs – auch als Junge – sein, aber ebenso für Mädchen die eigene Tante, die erfolgreich eine Schreinerwerkstatt betreibt. 

Allerdings bergen solche „role models“ auch die Gefahr, jemandem blind nachzueifern und dabei die eigenen Begabungen und Bedürfnisse zu ignorieren. Ein Vorbild dient idealerweise als Inspiration und Motivation, trotzdem sollte man seinen eigenen Weg gehen.

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Diversity Management

In vielen Unternehmen ist aktuell Diversity Management ein großes Thema. Der Gedanke, der dahintersteckt: Firmen profitieren von einer möglichst großen Diversität in ihrer Belegschaft. Diverse Teams sind breiter aufgestellt, oft sozial friedlicher und auch erfolgreicher. Diversität wird grundsätzlich als Bereicherung gesehen.

Diversität heißt nicht nur ein breites Spektrum an Nationalitäten, Ausbildungswegen und sozialen Hintergründen. Auch ein abwechslungsreich besetztes Team in Hinblick auf die Geschlechterzugehörigkeit (m/w/d) ist vielfältig. 

Mehr zum Thema Diversity Management in Unternehmen liest du in diesem Artikel.

Bewusstwerdung

Im Endeffekt kann jedoch jeder einzelne von uns dazu beitragen, tradierte Rollenklischees in die Verbannung zu schicken. Wer sich im Alltag öfter mal hinterfragt, schafft ein Bewusstsein dafür, dass nicht alles so bleiben muss wie es immer schon war.

Merkst du auch, dass du es komisch findest, wenn dich im Kosmetikstudio ein Mann behandelt?

Dann frage dich, warum das so ist, und versuche dir bewusst zu werden, dass auch du in bestimmten Bereichen Vorurteile mit dir herumträgst.

Wird man sich bewusst, dass man selbst Vorurteile und Klischees mit sich herumträgt, ist das oft schon der erste und ein sehr wichtiger Schritt, um diese zu bekämpfen.

Gerade wer im Personalbereich tätig ist, mit Recruiting zu tun hat oder selbst für sein Arbeitsteam Mitarbeiter auswählt, sollte sich in dieser Hinsicht immer mal wieder kritisch hinterfragen. Und mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass wir oftmals selbst in stereotypen Gedankengängen gefangen sind. In der Folge lässt sich durchaus mehr Mut zu Neuem wagen.

Fazit

Typisch männlich, typisch weiblich – diese Bezeichnung wird es immer geben, da unsere Gehirne einfach mit Stereotypen arbeiten müssen, um im Alltag nicht überfordert zu sein. Wie weit wir solche Stereotype allerdings unsere Lebensrealität bestimmen lassen, haben wir durchaus selbst in der Hand. Sind wir uns dessen bewusst, dass Stereotype vereinfachen und deshalb nicht stimmen müssen, so ist ein erster Schritt in Richtung Geschlechter-Diversität in Berufsgruppen getan.

Quellen:
wiwo.de, welt.de


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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form (generisches Maskulinum), z. B. „der Mitarbeiter“. Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und ist wertfrei.