Regelstudienzeit: Richtwert oder Obergrenze?
Es ist schon ein Kreuz mit dieser Regelstudienzeit: 2021 haben lediglich 148.943 von insgesamt 465.790 Studierenden es überhaupt geschafft, ihr Vollzeitstudium in der vorgegebenen Zeit abzuschließen, so vermeldet es das Statistische Bundesamt. Das entspricht gerade mal 32 Prozent aller Studierenden in Deutschland. Dabei spielt die Regelstudienzeit durchaus eine wichtige Rolle während des Studiums, beispielsweise bei der BAföG-Zuteilung und eventuell auch bei der späteren Jobsuche. Doch von solchen Zahlen solltest du dich nicht gleich abschrecken lassen, wenn du dich für das Studienfach deiner Träume entscheidest. Die Regelstudienzeit ist das eine – eine sinnvoll genutzte und auch erfolgreich abgeschlossene Studienzeit das andere!
Inhaltsverzeichnis
Wer oder was die Regelstudienzeit definiert
Die Regelstudienzeit dient als Richtwert für alle Studierenden, Hochschulen und auch für künftige Arbeitgeber. Sie ist in den jeweiligen Studien- und Prüfungsordnungen deutscher Fachhochschulen, Akademien und Hochschulen festgelegt und definiert die Anzahl der Semester (seltener Trimester), innerhalb derer ein Studiengang unter normalen Studienbedingungen abgeschlossen werden soll. Dieser „Regel“-Zeitraum kann allerdings je nach Studiengang, geplantem Studienabschluss und gewählter Hochschulart kräftig variieren. Mal sind es sechs, mal acht, mal neun oder auch zwölf Semester, die dafür in den jeweiligen Prüfungsordnungen angesetzt werden.
Aber wozu dient die Regelstudienzeit?
- Orientierung: Studierenden gibt die Regelstudienzeit eine klare Zeitvorgabe. Wenn acht Semester üblich sind, wird eine Zeitspanne von bis zu vierzehn oder auch von lediglich sechs Semestern auffällig und kann bei späteren Bewerbungen Nachfragen über dein Engagement hinsichtlich des Studiums auslösen.
- Standardisierung: Die Angabe einer Regelstudienzeit ermöglicht dir eine Vergleichbarkeit von verschiedenen Studiengängen. Du weißt von Anfang an, wo du ordentlich Gas geben solltest und welches Studium sich grundsätzlich zeitaufwendiger gestaltet und einen längeren Atem erfordert.
- Maßstab für Finanzierung: Die Regelstudienzeit setzt vor allem auch die Rahmenbedingungen, um beim zuständigen Amt für Ausbildungsförderung bzw. beim Studentenwerk deiner Hochschule eine Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu beantragen. Solltest du den vorgegebenen Zeitraum bei deinem Studienfach überschreiten, brauchst du gute Gründe und Belege, um die staatliche Unterstützung weiter beanspruchen zu können.
- Planbarkeit: Wenn du weißt, wie viel Zeit du im Rahmen der Regelstudienzeit und mit dem BAföG-Druck im Nacken hast, gehst du vielleicht zielstrebiger vor bei deinen Seminar-Teilnahmen und Prüfungen sowie beim Erwerb von ECTS-Credits (für „European Credit Transfer and Accummulation System“ – dem Nachweis von Studienleistungen per Punktesystem). Sofern dies überhaupt so einfach möglich ist, denn nicht an jeder Hochschule findest du dafür ideale Bedingungen vor. Hier ergeben sich oft auch Diskussionen mit dem Amt für Ausbildungsförderung, wenn du belegen sollst, dass du unverschuldet in Zeitverzug geraten bist.
- Arbeitsmarkt: Auch Personalentscheider in den Unternehmen haben mit den Standardvorgaben der Regelstudienzeit einen guten Eindruck davon, ob du dein Studium stringent durchgezogen hast bzw. warum du im Vergleich länger als andere Talente im Arbeitsmarkt studieren musstest. Unter Umständen kannst du dich mit einem Studium im Rahmen der Regelstudienzeit besser positionieren als Mitbewerber. Doch dazu gleich noch mehr.
Häufige Gründe, warum die Regelstudienzeit nicht eingehalten wird
Für viele Studierende stellt die Regelstudienzeit eine Herausforderung dar, denn unter bestimmten Umständen kann sie oft gar nicht mehr eingehalten werden. Ob finanzielle Nöte, gesundheitliche Probleme, eine Schwangerschaft, die Kinderbetreuung, ein krankes Familienmitglied, ein Auslandsaufenthalt oder schlichtweg die Komplexität des gewählten Studienfachs – die Gründe für eine ungewollte Verlängerung der Studienzeit können sehr vielfältig sein.
Finanzielle Aspekte
Viele arbeiten beispielsweise noch neben ihrem Studium, um die Lebenshaltungskosten und die Studiengebühren zu decken. Sie müssen ihre Ressourcen sehr sorgsam aufteilen, um ihr Seminar- und Vorlesungspensum und gleichzeitig auch ihr Arbeitspensum im Nebenjob zu schaffen.
Karriereplanung
Andere nehmen sich bewusst mehr Zeit, um ihre berufliche Ausrichtung und ihre persönlichen Ziele für sich zu klären und akkurat zu planen. Notwendige Fach- oder Hochschulwechsel, fehlende Voraussetzungen, ja selbst ein Ortswechsel und der Umzug erfordern dann oft zusätzliche Zeit.
Organisation des Studiums
Wiederum andere haben wegen falscher Beratung Kurse belegt, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Solche Faktoren können die Studiendauer dann sehr schnell verlängern.
Häufig erleben Studierende auch, dass sie aufgrund von Überschneidungen oder Überbuchungen bei Vorlesungen und Seminaren erforderliche Veranstaltungen nicht belegen und in der Folge das Grundstudium nicht rechtzeitig abschließen können.
Solch organisatorische Gründe können an Hochschulen dann schnell für die ungewollte Verlängerung der Studiendauer verantwortlich sein. Dazu zählen beispielsweise auch eine unübersichtliche Studienstruktur, gleichzeitig stattfindende Pflichtveranstaltungen, der Ausfall von Dozenten, Prüfungsengpässe oder fehlende Ressourcen wie Laborplätze, Rechner oder Software.
Höhere Gewalt
Ereignisse wie die globale Corona-Pandemie können den gesamten Universitätsbetrieb ebenfalls auf Dauer ausbremsen.
Spezielle Studiengänge mit großer Nachfrage
Bei manchen Studiengängen muss man sich auch ernsthaft fragen, ob die Regelstudienzeit realistisch ist, wenn der Durchschnitt der tatsächlich absolvierten Semester aller Studierenden regelmäßig weitaus höher liegt als diese Vorgaben. Besonders bei Fächern mit hohen Anforderungen bzw. großer Nachfrage wie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften oder Ingenieurwissenschaften übersteigt die durchschnittliche Studiendauer oft die offiziellen Vorgaben der Regelstudienzeit. Bei solchen Fachrichtungen solltest du grundsätzlich mit einer längeren Studiendauer rechnen.
BAföG
Sofern du deinen Lebensunterhalt während des Studiums gut bestreiten kannst – sei es, weil du nebenbei arbeitest oder weil du von deinen Eltern finanziell unterstützt wirst – besteht schon weniger Notwendigkeit, die Regelstudienzeit so strikt zu beachten. Bist du jedoch auf BAföG-Unterstützung angewiesen, erhöht dies den Druck, die zeitliche Vorgabe einzuhalten, da die Förderdauer direkt damit verknüpft ist. 2022 haben rund 489.000 Studierende BAföG in Anspruch genommen (Quelle: destatis.de). Eine Überschreitung der Regelstudienzeit kann zu einer Kürzung oder sogar zur Einstellung von BAföG-Zahlungen führen. Als BAföG-Empfänger bist du daher besonders gehalten, den vorgegebenen Zeitrahmen einzuhalten, um die finanzielle Unterstützung nicht zu gefährden.
Ist die Regelstudienzeit bei Bewerbungen relevant?
Bist du ansonsten verpflichtet, dein Studium innerhalb der vorgeschriebenen Regelstudienzeit abzuschließen? Nein. Sie dient wie gesagt als Orientierung und mit Blick auf staatliche Förderung als Richtlinie dafür, wie lange du brauchen solltest, wenn du dich mit voller Kraft auf dein Studium wirfst und durch nichts abgelenkt bist. Eine Überschreitung der Regelstudienzeit bedeutet auch nicht zwangsläufig, dass du dann gescheitert wärst. Denn oftmals kann dir eine individuellere Studiengestaltung sogar Raum für wertvolle persönliche und fachliche Weiterentwicklung bieten.
Bei der Jobsuche kann die Studiendauer dennoch durchaus eine Rolle spielen. Die Mehrheit der Arbeitgeber schaut zwar eher auf den gesamten Studienverlauf, auch auf die Inhalte, die du gewählt hast, und auf den Abschluss, den du letztlich erzielt hast. Nachhaken könnten sie jedoch im Bewerbungsgespräch durchaus, warum du so ungewöhnlich lang studiert hast. Es empfiehlt sich, dass du auf solche Fragen dann gut vorbereitet bist und überzeugende Gründe liefern kannst.
Aus dem Regelbruch kannst du auch Vorteile ziehen
In bestimmten Fällen kann eine längere Studiendauer durchaus auch echte Vorteile mit sich bringen, von denen dein künftiger Arbeitgeber ebenfalls profitieren kann:
Auslandsaufenthalt
- Zum Beispiel wenn du bei einem Auslandssemester oder einem Auslandspraktikum deinen Horizont erweitern und spezifisches Wissen für dein Studienfach und deinen späteren Beruf sammeln konntest. Entsprechende Stärken, die du dann in deiner Bewerbung anführen kannst, sind Sprach- und Landeskenntnisse sowie interkulturelle Kompetenz – also Erfahrungen mit anderen Kulturen und Arbeitsweisen, die bei internationalen Tätigkeiten von Vorteil sind.
Tätigkeit in Hochschulgremien oder Gründerzentren
- Oder wenn du in Hochschulgremien, in studentischen Organisationen, in universitären Inkubatoren oder in Gründerzentren engagiert warst, die deine Zeit neben dem Studium in Anspruch genommen haben. Soft Skills wie Kommunikation, Projekt- und Teamkompetenz, Organisationsfähigkeit und Führungsqualitäten sowie erste Startup-Erfahrungen befähigen dich zu verantwortungsvollen Aufgaben im künftigen Job. Die dabei entstandenen Kontakte und Netzwerke sind nicht nur dir auf deinem Karriereweg hilfreich, sie können auch für dein Unternehmen wertvoll sein.
Arbeit in der Forschung
- Falls du an Forschungsprojekten teilgenommen oder als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet hast, kann das ebenfalls einen Vorteil für deinen Arbeitgeber bieten. Du hast deine Studienzeit genutzt, um spezialisiertes Wissen aufzubauen oder vielseitige praktische Erfahrungen zu sammeln, die du nun in die Forschung und Entwicklung oder bei Innovationsvorhaben deines Unternehmens einbringen kannst. Auch deine Erfahrungen im Projektmanagement sind jetzt von Vorteil, besonders in Unternehmen mit agil gemanagten Strukturen.
Zusatz-Qualifikationen
- Wenn du relevante Zertifikate erworben, Programmier- oder Sprachkurse absolviert oder dich sonst noch anderweitig qualifiziert hast. Ein breites Skillset und spezielle Kenntnisse von Fremdsprachen, Anwendungen oder Tools geben vielleicht den Ausschlag, um ein bestimmtes Jobprofil zu erfüllen. Du zeigst schon während des Studiums Initiative und die Bereitschaft, dich stetig weiterzubilden – eine wesentliche geforderte Eigenschaft in unserer dynamischen und digitalisierten Arbeitswelt.
In Vorstellungsgesprächen und in deinem Lebenslauf kannst du diese Punkte bewusst anführen, um zu zeigen, dass die längere Studiendauer nicht nur mit deiner persönlichen Entwicklung zusammenhängt, sondern auch konkrete Fähigkeiten und Kenntnisse ermöglicht hat, die du nach Abschluss deines Studiums im Berufsleben einsetzen kannst. In anderen Fällen kann es jedoch strategisch klüger sein, das Thema nur dann anzusprechen, wenn der Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von sich aus danach fragt.
Fazit
Die Regelstudienzeit ist ein Richtwert, jedoch keine Pflicht für die Studierenden. Eine Überschreitung führt nicht zwangsläufig zur Exmatrikulation. Die Hochschulen sind ihrerseits jedoch gehalten, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass ein Studium innerhalb der Regelstudienzeit möglich ist. Der Alltag sieht jedoch besonders an den hochfrequentierten Hochschulen oft anders aus.
Bei der späteren Jobsuche kann die Studiendauer eine Rolle spielen, ist jedoch nicht das einzige Kriterium für potenzielle Arbeitgeber. Wenn du keinen konkreten Grund für die Verzögerung deines Studiums hast, kann das während des Studiums letztlich auch finanzielle Konsequenzen für dich haben. Das alles solltest du schon vor der Aufnahme deines Studiums bedenken und entsprechend einplanen.
Falls sich dein Studium wegen besonderer persönlicher oder organisatorischer Umstände verzögert, ist eine Verlängerung der Regelstudienzeit durchaus möglich. Beim AStA deiner Hochschule, beim Amt für Ausbildungsförderung oder beim Studentenwerk erfährst du, wie du sie beantragen kannst und ob du dafür Belege wie ein ärztliches Attest benötigst. Wichtig ist, dass du gegebenenfalls frühzeitig beratende Stellen an der Hochschule oder auch externe Beratungsdienste in Anspruch nimmst, damit du ohne weitere Hindernisse durch deine Studienzeit kommst.
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